Narzisstische Wut und Hass

 

 

Narzissmus ist für den Psychoanalytiker nichts Negatives, im Gegenteil. Er gehört zur normalen Ausstattung eines jeden Individuums, und er bildet sich aus in der frühesten Kindheit, wobei der liebende Blick der Mutter und des Vaters oder anderer wichtiger Bezugspersonen von entscheidender Bedeutung sind. Dieses „Gespiegeltwerden“ ist die Grundlage des Selbstwertgefühls, der Selbstachtung und der Liebe zu sich selbst, also des Narzissmus in seiner „gesunden“ Ausprägung. Problematisch wird es, wenn ein zuviel oder zu wenig an Spiegelung oder Bestätigung stattfinden oder wenn sogar erhebliche „narzisstische Kränkungen“ das Selbst unterminieren. Dann kann es zu einer krankhaft überhöhten Selbstwahrnehmung kommen, zu Fantasien der „Grandiosität“, um die Gefahr der Entwertung und entsprechende depressive Gefühle abzuwehren, oder es kommt zu einer übersteigerten Empfindlichkeit gegenüber Kränkungen jeglicher Art und einer damit einhergehenden Beziehungsunfähigkeit, da zumindest kleinere Kränkungen im Umgang mit anderen nie ausbleiben. Liebe kann dann sehr schnell in Hass umschlagen und der zuvor Idealisierte wird nun völlig entwertet fallen gelassen oder sogar verfolgt.

Bei Otto F. Kernberg und insbesondere bei Heinz Kohut finden sich Ausführungen über die Störungen des Narzissmus, wobei der letztere sich speziell zur "narzisstischen Wut" geäußert hat: "Der narzisstisch Gekränkte aber kann nicht ruhen, bis er den unscharf wahrgenommenen Beleidiger ausgelöscht hat, der wagte, ihm entgegenzutreten, nicht mit ihm übereinzustimmen oder ihn zu überstrahlen." Entwertung bedeutet also eine unverhältnismäßig negative Bewertung eines Objektes oder einer Objektrepräsentanz zum Zweck der Erhöhung oder Stabilisierung des eigenen Selbstbildes. In diesem Zusammenhang verweist Kohut zudem auf das Rachethema und dessen literarische Verarbeitung in den Werken des Heinrich von Kleist "Michael Kohlhaas", wo von "schäumender Wut" die Rede ist, von der "Hölle unbefriedigter Rache" und vom zunehmenden Größenwahn des Gekränkten, dessen Frau und er selbst letztlich umkommen, und Herman Melvilles "Moby Dick": Kapitän Ahab verfolgt so lange seinen "Intimfeind", den großen Wal, bis er selbst und sein Schiff untergehen. Auch in Kleists "Penthesilea" geht es um rasende Wut, die im Kampf gegen den eigentlich geliebten Achilles letztlich zu dessen Zerfleischung und Vernichtung führt, wobei es die Herrscherin der Amazonen erst gar nicht glauben will, dass Sie für diese Tat verantwortlich ist und sich schließlich selbst richtet, um dem Geliebten in den Tod zu folgen. Alles passierte wie in einem Traum, aus dem sie erwacht und zunächst bei anderen die Schuld sucht. Der Sage nach war es allerdings Achill, der Penthesilea im Kampf mit dem Schwert erschlug, sich in sie verliebte, als er ihr den Helm abnahm und seine Tat bedauerte. Der Autor Navid Kermani (2012) meint, dass es sich bei Kleists Penthesilea auch um die Inszenierung einer archaische Form von Liebe handelt, um Besitzergreifung, Machtausübung, um ein Sich-einverleiben-Wollen des Andern bis hin zum kannibalischen Akt. "Sie will ihn mehr als nur mit Leib und Leben besitzen, sie will ihn ganz und gar in sich aufnehmen..." Die Abspaltung der Penthesilea geht auch noch weiter, da sie nicht nur das eigene Handeln verleugnet, sondern auch noch von zwei Tätern ausgeht: einer, der Achill ermordete und ein anderer, der ihn verschlang. Dem einen will sie vergeben, aber dem anderen nicht, da sie in ihm einen Nebenbuhler sieht, der Achill geliebt haben muss. Kermani sieht sogar einen Bezug zum Abendmahl: "Nehmt, das ist mein Leib! Das ist mein Blut!" Kleist vergleiche Achill mit Christus: "Ach, diese blutgen Rosen! Ach, dieser Kranz von Wunden um sein Haupt!"

Kohut spricht von der möglichen Ausbildung einer "chronischen narzisstischen Wut", die er als die Entwicklung eines "der bösartigsten Übel des menschlichen Seelenlebens" ansieht, als eine die ganze Persönlichkeit durchdringende Haltung. Diese kann dann zu wohlorganisierten Feldzügen führen, die als Ausdruck einer endlosen Rachsucht mit endloser Leidenschaft in Gang gehalten werden. Es geht um Machtausübung (Omnipotenz) und Gewalt, um absolute Kontrolle und Beherrschung des Selbstobjektes. In diesem Zusammenhang soll daran erinnert werden, dass es in der Geschichte immer wieder dazu kam, dass bestimmte Menschen oder Gruppen entwertet oder gar entmenschlicht wurden, und wohin das führte! Narzisstisch gestörte Machthaber haben Völker und fast die ganze Welt ins Chaos gestürzt, mit unendlich viel Leid und Zerstörung! Kennzeichnend für narzisstisch Gestörte ist insbesondere das völlig fehlende Einfühlungsvermögen, insbesondere gegenüber der Person, gegen die sich die Wut richtet, ohne Rücksicht auf die Folgen und mögliche Kolalateralschäden. Sie können nicht das geringste Verständnis für ihre Gegner aufbringen! Fehlende Empathie einer Mutter gegenüber den Bedürfnissen eines Kindes kann bei diesem ebenfalls zu einer narzisstischen Störung führen!

Störungen des Narzissmus lassen sich behandeln, und sie sind Bestandteil von vielen psychischen Störungen, insbesondere der Persönlichkeitsstörungen und der Depression. Wichtig ist die "korrigierende Erfahrung", also die zuverlässige Bestätigung und Wertschätzung durch einen anderen Menschen oder den Psychotherapeuten, der ja wie ein Spiegel wirken soll, in dem sich der Andere findet und neu konstituiert.


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